Der Ahne 30000

Stammtafel des Geschlechts der Helle durch 450 Jahre

Wer sich einmal mit der Ahnenforschung beschäftigt, wird bei der Anlage einer Stammtafel die in die grundlegenden Jahrhunderte hineinreicht, manch merkwürdige Entdeckung machen. Nicht selten ist es so, daß einer an die Ahnenforschungsarbeit zunächst ungern heran geht, dann aber, nachdem die ersten Schwierigkeiten überwunden sind, mit bemerkenswertem Eifer immer weiter forscht, bis die Quellen endgültig versiegen. Wir wissen, daß es dem Bochumer Arzt Dr. med. Hans Helle nicht so erging; er begann schon im Jahre 1905 mit der Stammbaumarbeit, also in einer Zeit, da der Sinn der Familienforschung allgemein noch recht gering war, wo kein Ariernachweis gefordert wurde. Dr. Helle hat seine umfangreiche Arbeit 1931 vollendet; er schuf eine wohl einzigartige, nicht weniger als sechzehn Meter lange vollkommene Stammtafel des Geschlechts der Helle durch nicht weniger als fünfzehn Generationen.

Der Stammvater

Diese Stammtafel ist eine lange Rolle, die man aufwickeln muß; die Uebersichtlichkeit ist vorbildlich zu nennen. Ob man einen Ahnen oder eine Ahnfrau in der ersten, der siebten oder dreizehnten Generation sucht, ist ganz gleich, denn in großen römischen Ziffern sind am Rande der Tafel die Generationsreihen verzeichnet; man ist sofort im Bilde. So wissen denn auch die drei jungen Mädel, die Schwestern Irmgard, Hildegard und Renate Irskens aus Duisburg, die eine Helle zur Ahnfrau haben, in der Stammtafel ebensogut Bescheid, wie ihr Vater August Irskens; besonders die Aelteste, Irmgard, die gerade ihr Abitur machte und für Ahnenforschung sehr viel Sinn und Verständnis besitzt. Hans in der Helle ist der Ahne der 30000 mit dem die Stammtafel beginnt. Der Bäcker Hans in der Helle erscheint erstmalig in den Kämmereiregistern vom Jahre 1485 des alten kleinen Landstädtchens Rüthen i. W., das hoch oben auf dem Höhenzuge des Haarstrangs liegt. Man nimmt an, dass er kurz vorher eingewandert sein muß, da der Name in Rüthen vorher nicht vorkommt. Anzunehmen, aber nicht zu beweisen, ist, daß Hans in der Helle von dem gleichnamigen Geschlecht in Dortmund abstammt, das dort von 1343 ab nachweisbar ist.

Ein lebenstüchtiges Geschlecht

Von dem Stammvater Hans in der Helle hat sich das Geschlecht nun fast 450 Jahre hindurch in fünfzehn Generationen fortgepflanzt; von den letzten beiden Generationen wohnen noch neun Familien, die sich auf fünf Sippen verteilen, in Rüthen selbst. Durch die in Westfalen so charakteristischen Haus- und Beinamen wie: genannt Auling, Boren, Droste usw. unterscheiden sie sich. Ein lebenstüchtiges Geschlecht mit wertvollem Erbgut sind die Helle immer gewesen und durch die Jahrhunderte geblieben. Der Bäckerberuf des Stammvaters, der meist verbunden war mit Landwirtschaft, in den älteren Zeiten auch mit Brauerei und Brennerei, hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten. In der Verwaltung von Rüthen, als "Ratsverwandte", betätigten sich viele Helle. Die Stammtafel weist weiter aus, daß die Helle meist sehr viele Kinder hatten, was den sozialen Aufstieg in dem kleinen, durch den dreißigjährigen Krieg verarmten Rüthen erschwerte. Erschwert wurde der gesellschaftliche Aufstieg der Helle weiter dadurch, daß die meisten Familienmitglieder, die zum akademischen Studium gelangten, katholische Theologen wurden, infolgedessen nicht heirateten und keine Nachkommenschaft hatten, auf die sie wertvolles Erbgut vererbten.
Duisburger Mädel
Drei muntere Duisburger Mädel, die Nachkommen des Stammvaters Hans in der Helle aus Rüthen, vor der 450 Jahren zurückreichenden Stammtafel der Helle suchen ihre Urgroßmutter unter den vielen hundert Eintragungen. Aufn.:Muckermann/DGA.

Zweige in Amerika

Vom Rüthener Stamm zweigte mancher Ast ab, der Bürener Ast entwickelte sich zu einem gewaltigen weit verzweigten Hauptast, der noch heute dort und u. a. in Essen, D.-Ruhrort, Walsum ,in Köln, in den Vereinigten Staaten in Neu Vienna im Staate Iowa blüht. Ein Johann Helle aus der dreizehnten Generation wanderte 1864 nach den Vereinigten Staaten in Nordamerika aus und ließ sich dort in Neu Vienna als Farmer nieder; er hatte dreizehn Kinder. Aus der gleichen Generation wanderte weiter der 1846 geborene Oekonom Josef Helle, gen. Burg, mit acht Kindern nach Chile aus; die Ahnentafel verzeichnet von diesem Ueberseezweig drei Enkel. Und noch ein weiterer Helle ging vor hundert Jahren nach Amerika. In vielen deutschen Gauen spürte der Sippenforscher Träger des Namens Helle auf; in vielen Fällen gelang es ihm, sie in die Stammtafel einzureihen. Die Beziehungen der drei jungen Duisburgerinnen, der Schwestern Irskens zum Stamm der Helle sind die, daß ihre 1813 in Arnsberg geborene Urgroßmutter Lisette eine geborene Helle war.

Ein "Schnapphahn" und ein Messiasdichter

Die schweren Schicksalsschläge, die Deutschland trafen, der dreißigjährige Krieg, die Pestjahre, die vielen Wirren und Streitigkeiten, blieben nicht ohne Auswirkung auf das Geschlecht der Helle. So finden wir auf der Stammtafel verzeichnet, daß im Pestjahr 1625 zwei Helle-Kinder der furchtbaren Seuche erlagen. Die Helle ließen sich im allgemeinen durch die Kriegswirren der damaligen Zeit nicht aus der Ruhe bringen; nur von einem von ihnen, von Volpert in der Helle, genannt Melmicke, berichtet die Stammtafel, daß er aus der Reihe brach, ein berüchtigter Raufbold und Schnapphahn in den Rüthener Wäldern war, daß er 1623 "die Pfingstfreyheit gebrochen und seinen Bruder verwundet". Sein Gegenstück ist Jahrhunderte später der Dr. phil. Friedrich Wilhelm Helle, katholischer Schriftsteller und Dichter, geboren 1834, gestorben 1901, der dadurch bekannt wurde, daß er eine dreibändige Dichtung den "Jesus Messias", eine "christologische Epopöe" mit etwa 50 000 Hexametern, schrieb. Das Werk verschwand allerdings, wie es in einer Betrachtung darüber heißt, "im Dämmerdunkel der Bibliotheken", ein Schicksal, das dem berühmteren und glücklicheren Messiasdichter der deutschen Literatur Klopstock erspart blieb.

Die Ahnfrau, die eine Hexe war

Wir werden sie in der Stammtafel der Helle vergeblich suchen, die Ahnfrau der Duisburger Irskens-Kinder, Dorothea von der Hardt aus dem angesehenen Geschlecht der Beckers in Kirchhundem im Kreise Olpe, die den Richter Franz von der Hardt in Bilstein geheiratet hatte. Und doch ist sie Ahnfrau Nr. 3683 dieser jungen Duisburgerinnen, die "Ahnfrau, die eine Hexe war", denn sie ist wieder mit der der Helle verwandten Familie Röper verwandt. Der schreckliche Hexenwahn, der auch in Rüthen viele Opfer forderte, wo im dortigen Hexenturm noch 1735 die letzte Hexenfolterung erfolgte, verschonte die Helles. Schlimm erging es dagegen Dorothea von der Hardt, von der die Chronik berichtet, daß sie im Jahre 1575 im Verlaufe eines Streites wegen irgend einer Geldforderung von dem erbosten Gegner der "Teilnahme an Hexentänzen und Zaubersprüchen" bezichtigt wurde. Zwar wurde sie schließlich auf Grund einer großen Reinigungsschrift als unschuldig erkannt, doch zwölf Jahre später ging der Tanz von neuem los, die "Richtersche" wurde beschuldigt, die Frau des Burgherrn von Fürstenberg verzaubert und getötet zu haben. Auch ihre Schwester Elisabeth wurde in einen Hexenprozeß verwickelt und verbrannt. Dorothea aber, die selbst ihr Gatte, der Richter, nicht schützen konnte, ging ihren schweren Leidensweg viele Jahre weiter, erduldete ohne zu gestehen alle "peinlichen Verhöre". Zwar endete die starkmütige Frau nicht auf dem Scheiterhaufen, doch mußte sie sich im "Elend" eine neue Bleibe suchen; niemand weiß genau, wohin sie ging, vielleicht zu ihrem Sohne dem Canonicus in Mainz. Doch im Gedenken der Enkel, die in eine bessere, wahnfreie Zeit hinein geboren, lebt weiter das Gedenken an die heldenmütige Frau, die der finstere Wahn des Mittelalters zur Hexe machte.
Karl Stelter

Duisburger Stadtanzeiger (General-Anzeiger) 26. 3 .39